Transparenz im Journalismus durch Leseranwälte und Redaktionsblogs

16. November 2007 um 16:12 | Veröffentlicht in Ethik, Kapitel_7, Qualität, Redaktion | 7 Kommentare

„Transparenz“ ist ein Qualitätskriterium des Journalismus, das hierzulande noch nicht lange diskutiert wird und noch keinen großen Stellenwert hat. Es geht darum, dem „Publikum reinen Wein einzuschenken“ – wie es Stephan Ruß-Mohl einmal formuliert hat. Journalisten und Redaktionen sollen die Berichterstattungsbedingungen offenlegen und offensiv Fehler eingestehen und korrigieren – was letztlich der Glaubwürdigkeit dient und die Vertrauensbasis zwischen Journalismus und Publikum erweitert. Vor dem Hintergrund der Kommunikationsexplosion durch Internet und digitale Medien kommt dem Qualitätskriterium der Transparenz wachsende Bedeutung zu: „Ist wirklich dort (guter) Journalismus drin, wo Journalismus draufsteht?“, fragt sich das geneigte Publikum.

Aus den vielen Möglichkeiten, die Transparenz zu verbessern (vgl. z.B. die in Deutschland häufig vernachlässigte Correction Corner), möchte ich hier zwei herausgreifen bzw. verlinken, die durch Online-Kommunikation profitieren oder erst ermöglicht wurden: das Modell der Leseranwälte und das der Redaktionsblogs.

  • Ein lesenwerter internationaler Überblick über Leseranwälte („Ombudsleute“) ist im European Journalism Observatory erschienen. Zwei Beispiele aus deutschen Zeitungsverlagen: Seit 2004 ist Anton Sahlender Leseranwalt der Mainpost in Würzburg. Als „Kümmerer, Mittler und Vermittler“ zwischen Lesern und Redakteuren hat er inzwischen mehr als 150 Kolumnen geschrieben – und im August 2007 den Lokaljournalistenpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung erhalten. Bei der Frankfurter Rundschau gibt es seit Oktober 2006 einen „Leserversteher mit dem direkten Draht in die Chefredaktion“: Er tritt anonym unter dem Namen Bronski auf und betreibt das FR-Blog, das Leserbriefe, Leser-Mails und Leserkommentare sammelt. Mehr als 100 Kommentare pro Blogeintrag sind nicht selten: Bronski steht mit den Leserinnen und Lesern in einer sehr lebhaften Diskussion.
  • Ein anderes Konzept der Transparenz verfolgen Redaktionsblogs, die aus dem redaktionellen Alltag, über (Themen-)Entscheidungen und Quellenlage berichten. Vorbild ist in Deutschland mit Sicherheit das Redaktionsblog der Tagesschau, das im Sommer 2006 startete und ein knappes Jahr später den Grimme Online Award bekam. Aus der Begründung der Jury: „Den Einblick in den journalistischen Alltag gewähren, die Herausforderungen der tagesaktuellen Berichterstattung medienethisch diskutieren und spannende Hintergrundinformationen liefern – kann eine Website so etwas überhaupt leisten? Die kurze wie verblüffende Antwort lautet eindeutig ,Ja‘.“ In diesem Blog schreiben also die Redakteurinnen und Redakteure selbst. Auf externe Kritik hat sich dagegen die Online-Redaktion der Zeit eingelassen: Für das so genannte Meckerblog wird ein freier Journalist („Onkel Brumm“) dafür entlohnt, dass er von außen die Arbeit der Redaktion beobachtet und öffentlich kritisiert.

Alle diese Aktivitäten sorgen für mehr Transparenz im Journalismus, wobei sie sicher auch dem Ruf der jeweiligen Redaktion gut tun. Insofern verfolgen sie nicht nur das Ziel redaktionellen Qualitätsmanagements, sondern sie sind auch als Instrumente des redaktionellen Marketings oder der redaktionellen Öffentlichkeitsarbeit zu verstehen.

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7 Kommentare

  1. […] Studie der GfK der Berufsgruppe der Journalisten. Vertrauensbildung durch Transparenz: In einem Blogeintrag im November 2007 habe ich bereits auf Leseranwälte und Redaktionsblogs verwiesen. Das Redaktionsblog der Tagesschau […]

  2. „Mehr als 100 Kommentare pro Blogeintrag sind nicht selten: Bronski steht mit den Leserinnen und Lesern in einer sehr lebhaften Diskussion.“ Mittlerweile sind es derzeit „nur“ noch etwa 4-64 Kommentare… aber für die Bloggerszene immer noch ziemlich viel, wie ich finde.

    Hoffentlich gibt es in Deutschland in Zukunft mehr Leseranwälte und Redaktionsblogs (nicht so ein Käse wie ihn die Bild-Zeitung derzeit veranstaltet!)…

  3. Schön und gut. Auch hier sehen wir das Problem der Neutralität, das uns schon im journalistischen Alltag begegnet. Schadet ein Ombudsmann, der Leser aufhetzt oder ihnen Informtionen aus der Redaktion ausspielt, nicht eher der Redaktion? Retten wir uns nicht eher auch leichtfertig aus einer Situation, in der wir Fehler begangen haben?Heißt journalistische Qualität nicht eher, im Schwerpunkt seine journalistische Arbeitsweise zu verbessern und Fehler zu vermeiden.

  4. Nicht umsonst halten sich die Herren der Printredaktionen mit solchen neuen Beteiligungsformen zurück. Ist es von der Hand zuweisen, dass qualifizierte und kompetente Leute die Oberhoheit über Handwerk und ihre Arbeitsweise behalten sollten? Ich erinnere daran, dass auch in leserforen moderatoren eingesetzt werden, die das Geschehen in diplomatische Bahnen lenken oder zurückführen.

  5. Sie haben sicher Recht, wenn Sie fordern, dass Redaktionen sich ständig verbessern und Fehler vermeiden sollten. Allerdings können in jedem Beruf, jedem Menschen Fehler passieren. Es dient dann immer der Qualitätsverbesserung, diese Fehler zu analysieren – und im Falle des Journalismus auch öffentlich zuzugeben und zu korrigieren (übrigens würde eine solche Transparenz auch anderen Professionen helfen – denken Sie nur an die Medizin oder die Justiz mit ihrem Mythos der Unfehlbarkeit). Ombudsleute sollen nicht „Leser aufhetzen“, sondern eine Debatte zwischen Lesern und Journalisten moderieren. Dazu gehört auch, dass Leser besser verstehen sollten, wie Journalisten arbeiten und unter welchen Zwängen sie dies tun müssen.

  6. […] vernachlässigtes Projekt (nur dann und wann wurde es in der Literatur erwähnt, etwa bei Professor Klaus Meier), das so genannte Meckerblog bei Zeit Online stellte jetzt seinen Dienst ein. Ein unabhängiger […]

  7. […] Redaktionen mit Videos aus Konferenzen und internen Diskussionen in Schweden und den USA und über Transparenz durch Leseranwälte und Redaktionsblogs. Seit 22. März sendet die New York Times ein tägliches Video aus der Redaktion: Der so genante […]


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