Wie man sich eine Journalismus-Studie bastelt. Sieben Tipps anhand des Fallbeispiels „Journalismus 2009“

2. April 2009 um 16:02 | Veröffentlicht in Journalismusforschung, Kapitel_1 | 7 Kommentare

Eine Pressemitteilung (hier oder hier) der „Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation“ und des Marktforschungsinstituts „YouGovPsychonomics“ hat uns zu folgender Bastelanleitung inspiriert. Geeignet sind die Tipps vor allem für junge aufstrebende, privat-kommerzielle Hochschulen und Marktforschungsinstitute, die offenbar beide darunter leiden, dass man sie (noch) nicht genug kennt und schätzt. Auch wer sonst mal gerne zum Thema Journalismus forschen möchte, möge sich bitte hier ein paar Ratschläge holen:

  • (1) Man suche sich einen griffigen Titel: „Journalismus + Jahreszahl“ funktioniert vor allem in der ersten Jahreshälfte. Gut macht sich ein Untertitel, der Großes verspricht (einlösen muss man das Versprechen ja nicht). „Zum Status des deutschen Journalismus“ ist knackig und hat etwas Wichtiges, ja Staatstragendes.
  • (2) Man denke sich ein paar Fragen aus, die man in einen Online-Fragebogen gieße. Eine theoretische Basis ist dafür nicht nötig. Hauptsache es fallen Schlagwörter wie „Wahrheit“, „Unabhängigkeit“, „Glaubwürdigkeit“, „gesellschaftliches Ansehen“ oder noch besser: „Manipulation“.
  • (3) Mindestens 1000 Menschen sollten sich den Fragebogen antun. Damit man mit dem Adjektiv „repräsentativ“ prahlen kann, sollte die Zusammensetzung altersmäßig so sein, wie sich die Bevölkerung zusammensetzt. Das reicht. Andere Kriterien für Repräsentativität sind völlig irrelevant, z.B. dass ein Drittel der Bevölkerung mit einem Online-Fragebogen gar nicht erreicht werden kann. Die Zahl, wie viele Menschen man mit diesem Fragebogen belästigen musste und wie viele davon ihn letztlich ausfüllten, interessiert in der Veröffentlichung der Studie nicht (mit „Rücklauf“ beschäftigen sich nur wissenschaftliche Erbsenzähler).
  • (4) Ganz wichtig ist, dass man die Ergebnisse der Befragung nicht im wissenschaftlichen Kontext, wie z.B. einer Fachzeitschrift, veröffentlicht, sondern sofort per Pressemitteilung in die Welt bläst. Wer liest schon Fachzeitschriften, die obendrein noch auf wissenschaftliche Qualitätssicherung achten und an der „Studie“ herummosern könnten?
  • (5) In der Pressemitteilung werfe man mit Prozentzahlen um sich, die zwar für sich überhaupt keinen Sinn ergeben, aber in dramatischen Formulierungen mit Sicherheit von Journalisten zitiert werden (z.B. hier oder hier oder hier). Was will uns z.B. sagen, dass „lediglich 46 Prozent der Bundesbürger“ „glauben“, „dass Journalisten an einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung interessiert sind“? Oder: „Dass Journalisten objektiv berichten, glauben immerhin 52 Prozent.“ – Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Ist das viel oder wenig? Waren das früher mehr? Sind es in anderen Ländern mehr? – Oder: Wissen wir nun mehr, wenn wir durch die „Studie“ erfahren, dass – nach Meinung der Befragten – Ärzte einen stressigeren Beruf haben als Journalisten? (So ganz nebenbei: Glauben an Gott oder an andere Transzendenzen war gestern – heute glauben wir an den Journalismus. Zitat: „Lediglich die 20 bis 29-Jährigen glauben an Unabhängigkeit.“)
  • (6) Es ist auch völlig egal, wenn sich die Zahlen widersprechen – weil das ja nur daran liegt, dass die Fragestellungen zu pauschal sind und so nicht funktionieren. Ein Beispiel: Nur 16 Prozent geben an, dass sie „Online-Magazinen“ „vertrauen“. Konkret angegebene Websites wie Spiegel-online, Focus-online oder Zeit-online erhalten dagegen genauso hohe Vertrauenswerte (zwischen 67 und 75 Prozent) wie überregionale Tageszeitungen oder Nachrichtenmagazine (und sogar mehr als das Printmagazin „Stern“).
  • (7) Man überrasche in der Pressemitteilung. Das macht den Text spannend und weist keineswegs auf innere Widersprüche der Fragestellungen hin. Ein Beispiel: „Was nun die Recherchearbeit der Journalisten betrifft, zeigen sich die Befragten aber erstaunlicherweise zufrieden.“ Und: „Allerdings halten es 74 Prozent der Befragten für wahrscheinlich, dass Journalisten im Rahmen der Recherche auch „über Leichen gehen“.“

Erstaunlich, erstaunlich. Da wir jetzt wissen, wie es um den „Status des deutschen Journalismus“ bestellt ist, beschäftigen wir uns demnächst mit der Frage, was ein „Online-Ausleger“ ist. Am schönsten gefällt mir die Wikipedia-Beschreibung aus dem Bereich der Luftbetankung: „Der Ausleger ist ein langes, innerhalb enger Grenzen horizontal und vertikal bewegliches Rohr…“ Das lässt sich doch sicher auf den „Online-Ausleger des Magazins „Focus““ (vgl. Seite 3 der Pressemitteilung) übertragen.

Nachtrag (20.4.09): Einer der Autoren der Studie, Martin Welker, hat in seinem Blog die Methodik der Befragung erläutert („Repräsentativität“) und angekündigt, die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zur Prüfung und Veröffentlichung anzubieten.

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7 Kommentare

  1. […] 2. “Wie man sich eine Journalismus-Studie bastelt” (journalistiklehrbuch.wordpress.com, Klaus Meier) Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Hochschule Darmstadt, hält nicht viel von der Studie “Journalismus 2009″ des Marktforschungsinstituts YouGovPsychonomics (Pressemitteilung auf psychonomics.de). Eine Bastelanleitung mit 7 Tipps. […]

  2. Gute Beobachtungen, danke dafür.
    Leider hat die „Studie“ hat online schon einiges an Echo gefunden.

  3. Was man mit Statistiken so alles anfangen kann, hat ja RTL-Thoma unter Beweis gestellt. Das funktionierte 25 Jahr ohne Widerspruch und geht auch heute relativ unwidersprochen über die Bühne: http://gunnarsohn.wordpress.com/2009/04/02/milliardenschwere-fernsehwerbung-beruhte-auf-mumpitz-altersabgrenzung-war-ein-rtl-vermarktungstrick/

  4. […] Meier hat eine Bastelanleitung zu unserer Studie verfasst, allerdings scheinen ihm ein paar Instruktionen durcheinander geraten zu […]

  5. .. hatte gar nicht mehr mitbekommen, dass sich Studien-Methodikdiskussionen inzwischen in Blogschlachten manifestieren :) Weiter so, endlich wird Wissenschaft auch auf den Kanälen der Studies greifbar …

    .. so jetzt mal im Ernst: Sich an den Begriffen „Ausleger“ und „glauben“ aufzuhängen, ist ja doch ein bisschen kleinlich, oder,? Wenn Studien als Pressemitteilung hinausgehen, ärgert das zwar vielleicht ein paar selbsternannte „Gatekeeper“ der Wissenschaftsszene. Es ist aber doch eigentlich Sache dessen, der sie erstellt hat, wo er erscheinen möchte, oder? Auch die angeführte scheinbare „Online-Magazine gegen spezielle Magazine“-Glauwürdigkeitsdifferenz halte ich an sich auch für unproblematisch da erklärbar: Bei den Aufgezählten findet wohl schlicht Image- und Glaubwürdigkeitstransfer vom Muttertitel statt – lässt sich vermuten – und lädt zu weiteren Befragungen ein? .. Finde ich persönlich eines der spannendsten Ergebnisse aus der Studie. Und gegen knackige Übersschriften hat an sich ja auch noch nie etwas gesprochen.

    .. Eine reine Online-Befragung ohne Rücklaufkontrolle als repäsentativ zu bezeichnen ist – wenn dem so war – allerdings wirklich ziemlich hart … ließe sich aber IMHO einfach lösen, indem man offen darauf hinweist, dass der Ausschnitt der Repräsentierten dadurch ein wenig vezogen sein könnte?

    Kurz: Ich finds gut, wenn Studien endlich für alle verständlich und auf Klick greifbar als PM rausgehen und ihre Methodik in Blogs diskutiert wird: „Willkommen Wissenschaft im wirklichen Leben!“ – kann ich da nur sagen. – Weiter so in der Diskussion: – Interessant zu verfolgen und gutes Futter fürs nächste Seminar, wenn man mit den Studenten über Befragungsmethodiken und den Einsatz von Zahlenmaterial in Artikeln & PR diskutiert – natürlich so lange es fair bleibt. Denn irgendwie werden ja Studien immer gebastelt – und es muss nicht alles schlecht sein, nur weils mal nicht fünf Jahre dauert und dann sowieso schon hoffnungslos veraltet ist, wenn es erscheint? .. Viva PM und Internet, oder :! .. nutzen wir es ..

  6. .. p.s. ;) bitte die fehlenden -rs u.ä. obigen Texts wohlwollend im Geiste ersetzen … die winzige Schrift hier auf dem Bildschirm hat mir das Korrekturlesen etwas erschwert …

  7. […] finanziert wurde das Ganze von einem katholischen Institut. Damit erklären sich nun auch einige gereizte Reaktionen auf die Veröffentlichung unsere eigenen Studie. Jetzt bin ich mal auf den Vergleich der […]


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