Trend „konstruktiver Journalismus“: Gegen den Nachrichten-Frust
14. September 2015 um 15:38 | Veröffentlicht in Ethik, Journalismusforschung, Kapitel_5, Qualität | 5 KommentareDas Bild, das der Journalismus von der Welt konstruiert, beruht auf den Nachrichtenfaktoren. Aggression, Konflikte & Gewalt, Kontroversen, Betroffenheit nehmen als Nachrichtenfaktoren offenbar überhand – zumindest nach dem Gefühl des Nachrichtenpublikums. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag von RTL aktuell kommt zu dem Ergebnis, dass für 45 Prozent der Befragten die TV-News zu problembeladen sind. Gerade Fernsehzuschauer sind nach dem Nachrichtenkonsum frustriert und schlecht gelaunt. Im Kern trifft das aber auch auf die anderen Medien zu.
Die Umfrage kommt gerade in der Zeit, als der Chefredakteur des dänischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, Ulrik Haagerup, mit einer Website und einem Buch unter dem Titel „Constructive Journalism“ für Furore in der Branche sorgt – unterstützt vom Salzburger Verlag Oberauer, der das Buch auf Deutsch übersetzen ließ. Untertitel: „Warum bad news die Medien zerstören und wie Journalisten mit einem völlig neuen Ansatz wieder Menschen berühren“.
Ein Reihe von Redaktionen hat den Trend erkannt und springt auf den Zug auf. Einige Beispiele: Spiegel-online-Chefredakteur Florian Harms will vermehrt „konstruktiv über das Weltgeschehen berichten“. Beim „Tages-Anzeiger“ in Zürich soll unter der Rubrik „Die Lösung“ jeden Montag ein konstruktiver Artikel erscheinen. Chefredaktor Res Strehle kündigt den neuen Kurs an: „Wir wollen ein Umdenken in der Redaktion. Die negativen Berichte hat man so oder so. […] Dabei werden wir gleichsam kritisch und konstruktiv sein – und auch Widersprüche und Fallstricke eines Lösungsansatzes aufzeigen.“ Die Sendung „kulturplatz“ im schweizerischen SRF hat dazu einen bemerkenswerten Beitrag gesendet, in dem Ulrik Haagerup und Res Strehle den Ansatz anschaulich erklären.
Drei junge Gründer aus Münster haben sogar ein eigenes Online-Mazagin mit dem Titel „positive-daily.de“ gegründet. Motto: „Das lösungsorientierte Online-Medium für die Fragen unserer Zeit.“
Was ist „konstruktiver Journalismus“? Im Detail verstehen die Redaktionen alle etwas anderes darunter. Gemeinsam ist allerdings, dass Probleme und Missstände nicht nur thematisiert werden sollen, sondern dass immer auch Lösungsvorschläge recherchiert und präsentiert werden. Die Nachrichten sollen eine positive Wendung bekommen. Schluss mit frustig.
Aus wissenschaftlich-systematischer Sicht handelt es sich bei dem Konzept „Konstruktiver Journalismus“ um ein Berichterstattungsmuster (vgl. Journalistik-Lehrbuch, Kap. 5.2). Dem Konzept ähnlich ist der „Public Journalism“ (auch: „Civic Journalism“), der in den 1990er Jahren in den USA erfunden wurde (durch Mitwirkung des Journalistik-Professors Jay Rosen) und dort noch immer im Lokaljournalismus eingesetzt wird: Probleme in der Gemeinde sollen nicht nur thematisiert werden, sondern die Lokalredaktion soll auch Lösungen präsentieren und – falls diese noch nicht vorhanden sind – Dialoge dazu organisieren, interaktiv Foren anbieten und demokratische Prozesse anstoßen (vgl. z.B. diesen Aufsatz: „Take the initiative to report on major public problems in a way that advances public knowledge of possible solutions…“)
Audio-Podcast zu Innovationen und zur Zukunft des Journalismus
2. Juni 2014 um 15:06 | Veröffentlicht in Kapitel_7, Qualität, Redaktion | Kommentare deaktiviert für Audio-Podcast zu Innovationen und zur Zukunft des JournalismusVor sieben Jahren haben sie mit meinem Lehrbuch Journalistik das Studium an der Hochschule Darmstadt begonnen – vor kurzem haben sie mich an der Uni Eichstätt besucht: Mit Birte Frey, Jan-Kristian Jessen und Kersten A. Riechers von „Quäntchen und Glück“ durfte ich ein intensives Gespräch zur Zukunft von Tageszeitungen und Verlagen, zu ihrer Bedeutung für die Demokratie und zur Reorganisation von (Lokal-)Redaktionen führen. Herausgekommen ist ein einstündiger Podcast, der vieles anspricht und vertieft, worüber sich Journalisten und Redaktionsmanager heute Gedanken machen. Anlass des Besuchs ist ein Projekt in unserem Masterstudiengang, bei dem wir mit „Quäntchen und Glück“ und einem regionalen Zeitungsverlag kooperieren. Die drei ehemaligen Studierenden beraten und unterstützen den Verlag auf dem Weg zu einem modernen Medienhaus.
Der Druck im Newsroom wächst
4. September 2013 um 16:59 | Veröffentlicht in Journalisten, Kapitel_4, Kapitel_7, Medienökonomie, Newsroom, Qualität, Redaktion, Zeitung | Kommentare deaktiviert für Der Druck im Newsroom wächstWeil ich in diesem Blog häufig über Trends der Redaktionsorganisation und Redaktionsforschung berichte, verweise ich heute auf den Beitrag von Hans-Joachim Graubner, der vor ein paar Tagen von seiner Arbeit im Newsroom der Stuttgarter Zeitung erzählt hat. Der Druck sei stark gestiegen, immer mehr Seiten müssten von der gleichen Mannschaft betreut werden – plus neue Publikationskanäle wie Website, Facebook und Twitter. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie die Aufgaben am Newsdesk wachsen. Der Beitrag ist auf einem Streikblog erschienen, mit dem Redakteurinnen und Redakteure der Stuttgarter Zeitung und der Stuttgarter Nachrichten gegen Gehaltsabsenkung und für die Anerkennung journalistischer Arbeit durch die Arbeitgeber (also das Verlagsmanagement) kämpfen.
Innovativer Chefredakteur im Video-Porträt: Ralf Geisenhanslüke
25. April 2013 um 8:34 | Veröffentlicht in Kapitel_4, Kapitel_7, Qualität, Redaktion, Zeitung | 1 KommentarSehr interessantes Video-Porträt eines innovativen Chefredakteurs: Ralf Geisenhanslüke von der Neuen Osnabrücker Zeitung. In dem Beitrag, den Roman Mischel produziert hat, wird das Idealbild eines Chefredakteurs gezeichnet: unaufgeregt, aber konsequent den Weg zum digitalen Journalismus aufzeigen und mit dem Team gehen. Chapeau!
Umfangreiches Dossier zum Lokaljournalismus
22. Februar 2013 um 11:02 | Veröffentlicht in Kapitel_4, Qualität, Redaktion, Zeitung | Kommentare deaktiviert für Umfangreiches Dossier zum LokaljournalismusDie Bundeszentrale für politische Bildung hat in Kooperation mit vielen Autoren ein umfassendes und empfehlenswertes Dossier zum Lokaljournalismus veröffentlicht. Analysen und Hintergrundinfos sind kombiniert mit Ratschlägen und Tipps für einen besseren Journalismus, der gerade im Lokalen so wichtig ist. Das Dossier ist aufwändig illustriert und in viele Unterbereiche gegliedert.
Ich durfte mit zwei Beiträgen beim Themenbereich Crossmedia mitwirken: „Crossmedial und lokal“ erklärt die Auswirkungen der Medienkonvergenz auf die Arbeit in der Lokalredaktion; „Unter Strom: Der Newsroom“ erläutert innovative Organisationsformen. Die bpb hat meine Texte in einer idealen Grafik visualisiert, die alle Anforderungen an den Newsdesk auf den Punkt bringt: das crossmediale Arbeiten, das ressortübergreifende Planen und die Integration des Leser-Feedbacks z.B. via Soziale Netzwerke.
Wenn der Markt versagt: Wie Journalismus finanziert werden kann
23. November 2012 um 21:45 | Veröffentlicht in Internet, Journalismusforschung, Journalistik, Kapitel_7, Kommunikationsfreiheit, Qualität, Zeitung | 4 KommentareNach dem Ende der Financial Times Deutschland (FTD), der Nürnberger Abendzeitung und der Insolvenz der Frankfurter Rundschau wird nun wieder mehr darüber diskutiert, wie tagesaktueller Journalismus – außerhalb der öffentlich-rechtlichen trimedialen Rundfunkanstalten – langfristig finanziell überleben kann (vgl. den Beitrag in der heutigen ARD-Web-Tagesschau mit einem Interview von mir). Dabei geht es auch um die Frage nach der Zukunft des lokalen und regionalen Journalismus. Der NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann hat einen interessanten Diskussionsbeitrag gemacht, über den u.a. Spiegel online berichtet und den er selbst ausführlich darstellt („Wie wir in Zukunft Öffentlichkeit finanzieren“): Eine Stiftung zur Förderung von journalistischer Vielfalt könnte Recherche-Stipendien für Journalisten und Redaktionen vergeben.
Der Medienredakteur der F.A.Z., Michael Hanfeld, sieht das kritisch, aber er ist auch bekannt für seinen Konfrontationen gegen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und eine eher plumpe schwarz-weiß-Darstellung; er kann sich offenbar nur marktfinanzierten Journalismus vorstellen.
Der Schweizer Journalistik-Professor Vinzenz Wyss hat in einem Facebook-Beitrag auf verschiedene kommunikationswissenschaftliche Ansätze verwiesen. Diese Links möchte ich hier dokumentieren:
In der Medienwissenschaft hat Marie Luise Kiefer interessante Finanzierungsmodelle angetippt: Das sollte man mal gelesen haben. In der Schweiz hat sich insbesondere Manuel Puppis vom IPMZ mit den Fragen beschäftigt. Seine Gedanken sind publiziert, z.B. in dem jüngst erschienenen Buch „Gehen den Leuchttürmen die Lichter aus?“ Und seine Gedanken wurden auch an einem Parlamentarieranlass vom Verein Medienkritik Schweiz diskutiert. Dazu das Papier hier. Man sollte bei der Diskussion wissen, dass keine – also auch keine medienwissenschaftlich ernst zu nehmende – Position vorschlägt, dass der Staat da irgendwas finanzieren soll. Staatsferne ist selbstverständlich gesetzt. Dennoch muss der Staat hier an der Organisation solcher Modell mitwirken. Es gibt hier also nicht plumpes Schwarz/Weiss.
Auf der Facebook-Seite von Vinzenz Wyss kommentiert Marc Jan Eumann:
Wir müssen streiten! Wieviel Vielfalt wollen wir? Wieviel Geld soll wer und warum in die Hand nehmen? Wie sichern wir Unabhängigkeit? Wie gelingt Transparenz? Fragen über Fragen. Es stellen sich noch mehr. Wichtig ist: Der Streit lohnt. Es geht um ein wichtiges Gut: Die Herstellung von Öffentlichkeit durch Journalistinnen und Journalisten, ohne die Demokratie nicht funktioniert. Nebenbei: Es gibt doch viele Beispiele, wo der Staat finanziert, aber die Unabhängigkeit gewährleistet ist: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, Max-Planck-Institute sind nur zwei. Lasst uns gute Argumente sammeln. Und klar ist auch: Es gibt keinen Königsweg…
Ich finde es wert, diese Punkte öffentlich zu diskutieren. Deshalb habe ich diese Aussagen, die ja bei Facebook nur einen begrenztes Publikum erreichen und vergänglich sind, hier dokumentiert. Aber natürlich ist das alles noch nicht zu Ende diskutiert. Unsere Gesellschaft ist erst am Anfang einer wertvollen Debatte, welchen Journalismus wir uns leisten wollen.
Nachtrag (24.11.): Die Schweizer Kommunikationswissenschaftler Cédric Wermuth und Kurt Imhof im Interview.
Korrektur (24.11. abends): Cédric Wermuth ist Politiker. Er sitzt für die SP im Schweizerischen Nationalrat (vgl. Kommentare). Prof. Dr. Kurt Imhof ist Professor für Publizistikwissenschaft und Soziologie an der Uni Zürich; er leitet den Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft, in dem regelmäßig das Jahrbuch „Qualität der Medien“ herausgegeben wird.
Interview zum „Zeitungssterben“
22. November 2012 um 12:07 | Veröffentlicht in Kapitel_4, Kapitel_7, Qualität, Zeitung | Kommentare deaktiviert für Interview zum „Zeitungssterben“Heute ist ein Interview mit mir in der Main-Post, Würzburg, zum „Zeitungssterben“ erschienen: „Medienwissenschaftler Klaus Meier sieht keinesfalls schwarz für die Tageszeitung“, heißt es. Meier: „… Wenn der Markt hier versagt, für eine für die Demokratie so wichtige Institution wie den Journalismus, da müssen wir überlegen, wie der Staat eingreifen kann. Ich plädiere nicht dafür, die Verlage direkt zu unterstützen. Wir müssen aber Wege finden, wie wir qualitätsvollen Journalismus öffentlich unterstützen können – mit politischer Unabhängigkeit. In Nordrhein-Westfalen gibt es Pläne für eine NRW-Journalismus-Stiftung zur Förderung journalistischer Vielfalt, die an recherchierende Journalisten Stipendien vergibt oder Redaktionen eine Recherche ermöglicht, die andernfalls nicht finanzierbar wäre. Das ist natürlich noch Zukunftsmusik. Aber es wird das große Thema sein in den nächsten Jahren. Darüber muss unsere Gesellschaft sprechen.“ Der Leitartikel von Chefredakteur Michael Reinhard zum gleichen Thema ist lesenswert: „Die Tageszeitung ist gut und stark“.
Nebenaspekt der CSU-Pressesprecher-Affäre: Kumpanei zwischen Bayerischem Rundfunk und CSU
24. Oktober 2012 um 21:02 | Veröffentlicht in Allgemein, Öffentlich-rechtliche, Ethik, Kapitel_7, Kommunikationsfreiheit, Qualität | 6 KommentareIn der Berichterstattung heute über die Affäre um den Anruf des CSU-Pressesprechers Hans Michael Strepp beim ZDF gibt es einen Nebenaspekt, der ziemlich unterging, den ich aber für bedenklich halte, weil der den Umgang zwischen Journalisten des Bayerischen Rundfunks und der CSU offenlegt. Der Bayerische Rundfunk berichtet (Audio von Nikolaus Neumaier, Leiter der Redaktion Landespolitik im Hörfunk):
Strepp schickte dem BR-Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth (ARD-Fernsehen) eine SMS und fragte: „Wissen Sie eigentlich, ob ARD heute was macht zu Ude in Nürnberg? Danke für Info“. Daraufhin bekam er als Antwort: Die ARD mache nichts, vielleicht mache der BR was.
Erstens: Dass ein Parteipressesprecher am Sonntag um 9.41 Uhr eine derartige SMS schreibt, zeugt davon, dass ein enges Verhältnis zwischen ihm und dem Fernsehjournalisten herrscht und solche Anfragen offenbar ganz normal sind.
Zweitens: Die einzige richtige Antwort des Journalisten müsste sein: „Das geht Sie gar nichts, aber schon rein gar nichts an.“
Stattdessen plaudert der Journalist redaktionsinterne Planungen über die Berichterstattung über den SPD-Parteitag an den CSU-Mann aus. Es gibt ganz offensichtlich eine Kumpanei zwischen dem BR-Fernsehen und der CSU – zumindest zwischen dem BR-Korrespondenten im ARD-Hauptstadtstudio und der CSU-Pressestelle.
Dies wird in der Berichterstattung über die ganze Affäre sonst nicht thematisiert (vgl. z.B. 1, 2, 3, 4, auch nicht im ARD-Tagesschau-Beitrag zur Affäre). Oder ist mir was entgangen?
Wenigstens stimmte dann die Berichterstattung am Ende (entgegen der Auskunft des BR-Journalisten): Beide öffentlich-rechtlichen Sender, ARD und ZDF, berichteten in ihren Nachrichtensendungen sowohl über den CSU- als auch über den SPD-Landesparteitag. Wer weiß: Vielleicht hat die Tagesschau-Redaktion in Hamburg ja am Ende anders entschieden, als die BR-Journalisten im ARD-Hauptstadtstudio wollten?
Nachtrag (26.10.2012): Ich habe heute mit dem BR-Korrespondenten Oliver Mayer-Rüth telefoniert. Er sagte, die SMS von Strepp an ihn sei „unüblich“ gewesen und seine sofortige Antwort eine „höfliche Geste“. Er wehrt sich gegen den Vorwurf der Kumpanei; schließlich habe er von sich aus dazu beigetragen, die Sache zu veröffentlichen und damit transparent zu machen (via den oben erwähnten Audio-Beitrag von B5-aktuell). Da gebe ich ihm Recht: Wenn er tatsächlich ein Kumpan des CSU-Pressesprechers wäre, hätte er geschwiegen.
Interview zum neuen Spiegelblog und zur Reaktion der Tagesschau auf einen Facebook-Shitstorm
1. Oktober 2012 um 10:55 | Veröffentlicht in Ethik, Internet, Kapitel_7, Qualität, Redaktion | Kommentare deaktiviert für Interview zum neuen Spiegelblog und zur Reaktion der Tagesschau auf einen Facebook-ShitstormDer Spiegel hat ein neues Redaktionsblog, in dem zum Beispiel der hauseigene Medienjournalist Stefan Niggemeier bei Kollegen kritisch nachfragt – und die Tagesschau müht sich im Redaktionsblog um Schadensbegrenzung, weil Facebook-Nutzer sich massiv darüber beschwert haben, dass die Proteste in Madrid am Dienstag, 25.9., nicht in die 20 Uhr-Ausgabe gekommen waren. Das sind zwei Anlässe für die Redaktion der Sendung „Markt und Medien“ des Deutschlandfunk, das Thema Offenheit und Transparenz von Redaktionen und den Umgang mit einem kritischen Netz-Publikum zu thematisieren (Sendung vom 29.9.). Das Interview mit mir kann man hier nachhören.
Hintergrund: Das Thema begleitet mich schon länger, z.B.: Unsere Studie zu Transparenz und Vertrauen im Journalismus sowie weitere Infos zu Transparenz in anderen Redaktionen und ein früheres Interview 2009.
Katerstimmung nach der EM: Unterhaltungsindustrie und Party statt Sportjournalismus
2. Juli 2012 um 9:43 | Veröffentlicht in Öffentlich-rechtliche, Ethik, Kapitel_5, Kapitel_7, Qualität, Zeitung | 2 KommentareWas bleibt nach der Fußball-EM? – Vor allem eine riesige Katerstimmung nicht wegen der deutschen Mannschaft, sondern aufgrund der Berichterstattung, die man in weiten Teilen nicht mehr als Sportjournalismus bezeichnen kann, sondern als gigantische Unterhaltungsindustrie. Klassische journalistische Werte wie Fairness, Unparteilichkeit oder Transparenz gehen im Kult um „Reichweite durch Party“ unter. Es wurde in Blogs und Sozialen Netzwerken schon viel dazu geschrieben, weshalb ich mich hier darauf beschränke, die treffenden Analysen zu sammeln:
- Arnd Zeigler bringt es in einem offenen Brief auf Facebook auf den Punkt: „Wer jetzt so tut als seien die deutschen Spieler nach der ersten Niederlage nach 16 Siegen hintereinander (oder wieviele waren es?) plötzlich alles Vollpfosten, Totalversager und Nullen und ihr Trainer ein Nichtskönner, der hat den Fußball nicht mal im Ansatz verstanden.“
- Und Bildblog hat zusammengetragen, wie die „Bild“-Zeitung die deutschen Spieler zuerst wie Helden verehrt und dann in Grund und Boden geschrieben hat. Beides völlig maßlos, unmenschlich und ekelhaft.
- Die Bilder, die wir im Fernsehen von den Spielen bekommen, werden nicht von journalistischen Redaktionen ausgewählt, sondern von den Veranstaltern selbst. Wir sehen unter dem Label von ARD und ZDF die PR-Unterhaltung der UEFA. Missliebige Szenen werden nicht gezeigt (Feuerwerke unter Zuschauern, Flitzer, leere Plätze), Bilder um der Unterhaltung Willen gefälscht (z.B. „Löw und der Balljunge“ oder „Tränen nach dem Tor“).
- Die Berichterstattung hätte das ZDF nutzen können, um ein junges Publikum von der Qualität und Attraktivität seines Programms zu überzeugen. Statt dessen inszeniert man ein Strandstudio mit Liegestühlen an der Ostsee, für das die AOK Nordost exklusiver Partner war und das von der Süddeutschen Zeitung trefflich als „eine Art AOK-Kongress“ bezeichnet wurde. Nur noch peinlich war der Versuch, Twitter in die Sendung einzubinden – mit einem hilflosen Oliver Kahn.
Am Tag 1 nach der EM fassen wir uns an den Kopf – und können es inzwischen nur zu gut verstehen, wenn im Freundeskreis „über die Medien“ geschimpft wird. Normalerweise versuche ich, den Journalismus und die Journalisten zu verteidigen. Heute sind mir die Argumente ausgegangen.
Neue Zeitschrift zur angewandten Journalismusforschung: Die Kluft zwischen Forschung und Praxis überwinden
14. Mai 2012 um 9:14 | Veröffentlicht in Journalismusforschung, Kapitel_1, Kapitel_7, Qualität | Kommentare deaktiviert für Neue Zeitschrift zur angewandten Journalismusforschung: Die Kluft zwischen Forschung und Praxis überwindenEine neue wissenschaftliche Fachzeitschrift möchte die Kluft zwischen journalistischer Praxis und Forschung überbrücken. Das internationale „Journal of Applied Journalism & Media Studies“ hat sich zum Ziel gesetzt, „to bridge the gap between media and communication research and actors with a say in media production, i.e. broadcasters, newspapers, radios, Internet-based media outlets, etc.“. Die erste Nummer ist kostenlos. Den Aufmacher-Beitrag hat Daniel Perrin von der Zürcher Hochschule Winterthur geschrieben. Es handelt sich um die erweiterte Fassung seiner Antrittsvorlesung. Er nutzt die Aktionsforschung als theoretischen Rahmen für ein Forschungsprojekt, das er mit der öffentlich-rechtlichen „Idée suisse“ durchgeführt hat. Einen ähnlichen Ansatz verfolge ich mit meinen angewandten Forschungsprojekten. Ich habe diese „interaktive Innovationsforschung“ in einem Beitrag im Buch „Methoden der Journalismusforschung“ beschrieben.
In einem weiteren Beitrag in dem neuen Journal werden zehn Regeln für Nachrichtenmedien zum Gebrauch von Twitter begründet und ausgeführt.
Social TV: „rundshow“-Experiment des Bayerischen Rundfunks
4. Mai 2012 um 9:30 | Veröffentlicht in Internet, Kapitel_4, Kapitel_7, Qualität | Kommentare deaktiviert für Social TV: „rundshow“-Experiment des Bayerischen RundfunksÜber dieses Projekt ist schon viel gebloggt und erzählt worden (zuletzt zum Beispiel bei den Netzpiloten oder beim Organisator und Macher Richard Gutjahr selbst oder als Pressemitteilung des BR oder vor allem im rundshow-Blog). Ich möchte hier kurz darauf hinweisen, weil ich es für ein spannendes Experiment halte: Ab 14. Mai wird der Bayerische Rundfunk vier Wochen lang testen, wie das interaktive Internet mit dem linearen Fernsehen kombiniert werden kann. Die „rundshow“ will täglich 30 Minuten Live-Interaktion ausprobieren: von Montag bis Donnerstag um 23.15 Uhr.
Mitten in der heißen Vorbereitungsphase gibt Gutjahr am Dienstag, den 8. Mai, in einem 75minütigen Webinar des Forums für Journalismus und Medien Wien (Fjum) Einblick in das Innovationsprojekt. An dem Webinar kann jeder mitmachen und Fragen stellen (ab 17.30 Uhr) – mit vorheriger Anmeldung.
Tipps zum Interview von Marietta Slomka: Das Geheimnis des Gesprächs.
29. Februar 2012 um 19:21 | Veröffentlicht in Kapitel_5, Qualität | 1 KommentarDie ZDF-Heute Journal-Moderatorin Marietta Slomka ist bekannt für ihre klugen, hartnäckigen und unterhaltsamen Interviews mit Politikern. In einem ZDF-Video bei YouTube erklärt sie charmant und anschaulich, wie sie das macht: „Das Geheimnis des Gesprächs“ liegt in der Vorbereitung. Liebe Jung-Journalisten: Bitte beherzigt diese Tipps.
Immer wieder: die Kampagnen der Verlagsredaktionen gegen ARD und ZDF
26. September 2011 um 9:03 | Veröffentlicht in Öffentlich-rechtliche, Kapitel_4, Medienökonomie, Qualität, Zeitung | Kommentare deaktiviert für Immer wieder: die Kampagnen der Verlagsredaktionen gegen ARD und ZDFStefan Niggemeier hat den gestrigen Sonntag genutzt, um auf ein wiederkehrendes Problem hinzuweisen: Die Medienredaktionen von Zeitungsverlagen berichten nicht unabhängig und fair über die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Dieses Mal geht es um eine völlig verzerrte Darstellung der Forderungen nach einer Gebührenerhöhung. ARD/ZDF wollen sparen und fordern weit weniger als die Inflationsrate. „Zeit“, „Bild“, „FAZ“ und viele andere sehen darin Maßlosigkeit und Gier. Das ist Kampagnenjournalismus, der nicht nachzuvollziehen ist. Niggemeier hat dies klar analysiert und dargelegt.
Journalismus 3.0: Trend Datenjournalismus
9. September 2011 um 10:36 | Veröffentlicht in Internet, Kapitel_5, Kapitel_7, Qualität | 5 KommentareWas kommt nach dem Web 2.0? – Seit Jahren gibt es etliche Spekulationen, wie sich das Internet und der Online-Journalismus weiter entwickeln werden. Ein Trend zeichnet sich immer deutlicher ab: ein Journalismus, der Datensätze anschaulich visualisiert – nicht nur in zweidimensionalen Infografiken, die in den 90er Jahren entwickelt wurden, sondern vor allem in interaktiven Grafiken, in denen die Nutzer navigieren und sich die Daten auf eigene Weise erschließen können.
Im Lehrbuch „Journalistik“ stelle ich die Berichterstattungsmuster des Journalismus vor. Der neue Datenjournalismus gehört zum Typus des Präzisionsjournalismus, der schon 1973 von Philip Meyer (University of North Carolina at Chapel Hill) im Buch „Precision Journalism“ beschrieben wurde: Der Journalist bedient sich (sozial-)wissenschaftlicher Methoden, um auf Basis wissenschaftlich erhärteter Faktizität präziser berichten zu können. Das Rollenbild ist dann nicht der „Vermittler“ (wie im „Objektiven Journalismus“) oder der „Wachhund“ (wie im Investigativen Journalismus), sondern der „Forscher“. Neue Methoden erweitern die Möglichkeiten und beziehen zum Beispiel die Nutzer in die Datensammlung mit ein (Stichwort „Crowdsourcing“).
Wer sich näher damit beschäftigen und lernen möchte, was einen guten Datenjournalismus ausmacht, der findet inzwischen viele Ankerpunkte im Internet. Einige Beispiele:
- Journalistik-Studierende der Hochschule Darmstadt haben unter Leitung von Annette Leßmöllmann und Lorenz Lorenz-Meyer ein umfassendes Dossier zum Datenjournalismus recherchiert und aufbereitet.
- Die Redaktion von Zeit online zeigt seit geraumer Zeit immer wieder gute Beispiele zum Datenjournalismus (z.B. über die Todesopfer rechter Gewalt oder das Umfeld von Kernkraftwerken). In einem „Data-Blog“ begleiten sie die Projekte und erzählen über Erfolgsfaktoren und „How to do“. Jüngst hat Lorenz Matzat Bilanz gezogen („Datenjournalismus ist eine große Chance“) und in einem Interview über seine Erfahrungen berichtet („Viele hadern noch mit der Idee Open Data“).
- Ein Beispiel, das in den letzten Wochen oft erwähnt wurde, sind die „Hurricane Tracker“ us-amerikanischer Medien (vgl. z.B. von der NY Times).
- Das „eu-parlameter“ von zdf.de ist ein herausragendes Beispiel, wie Datenjournalismus Transparenz in politische Zusammenhänge bringen kann – eine ureigene Aufgabe des Journalismus.
- Viele Beispiele werden auch im „Datablog“ des Guardian gezeigt und erklärt.
Nachtrag (26.9.): Zeit online hat mit einem Datenjournalismusprojekt einen der renommierten Online Journalism Awards gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!
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